Besuch des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestags im Deutschen Haus Almaty

Sehr geehrter Herr Singhammer, Sehr geehrte Frau Singhammer, ich möchte mich bei Ihnen noch einmal für Ihr aufrichtiges Interesse bedanken, welches Sie für die Kasachstandeutschen zeigten. Für diejenigen, die in Deutschland zu der großen Gruppe der Aussiedler gehören, die in der deutschen Politik bekanntermaßen ganz unterschiedlich wahrgenommen wird.

Als wichtigste Meinung für uns wurde aber die Auffassung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Aussiedler für Deutschland einen Gewinn darstellen.
Wir, die Kasachstandeutschen, nehmen diese hohe Bewertung mit Dankbarkeit wahr und geben uns viel Mühe, diesen Gewinn auch als Brücke zwischen unseren Ländern noch zu vermehren, und unser noch bei weitem nicht ausgeschöpftes Potential in diesem Bereich zu nutzen.
Auf Ihrer Reise durch Kasachstan konnten Sie sich selbst über die Bedeutung der deutschen Minderheit für die bilateralen Beziehungen unserer Länder ein Bild machen.
Wir hatten mit Ihnen schon Gelegenheit, über einige für die Kasachstandeutschen wichtige Probleme unsere Visionen auszutauschen, die eigentlich unsere gemeinsamen Probleme sind, weil wir eine untrennbare Bindung zu unseren Verwandten und Freunden in Deutschland empfinden.
Die wichtigste Voraussetzung für die Zukunft unserer Minderheit sehen wir in der Konsolidierung aller Kräfte der Kasachstandeutschen in einer handlungsfähigen Vereinigung: Vertreter der Selbstorganisationen, unserer kasachstandeutschen Elite, die einen hohen sozialen Status in Kasachstan aufweist, Unternehmer, Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft. Weil die einzige Form unserer Existenz nur die solidarische Verantwortung für die Zukunft des eigenen Volkes sein kann. Als Politiker wissen Sie sehr gut, wie schwierig es ist, dieses Prinzip zu realisieren. Wir hoffen deswegen sehr, auf Ihre Hilfe und Unterstützung zurückgreifen zu können. Für die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Minderheit Kasachstans sind aus unserer Sicht drei miteinander verknüpfte Elemente von herausragender Bedeutung, die eine konsequente langfristige Strategie dieser Zusammenarbeit bedingen:

1. Für eine nachhaltige Entwicklung der deutschen Minderheit Kasachstans und die Steigerung des Ansehens unserer Selbstorganisation in der kasachischen Gesellschaft wäre sehr förderlich, wenn eine besondere Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zur deutschen Minderheit Kasachstans auf deutscher Gesetzesebene verankert wurde. So ein Gesetz könnte spezielle Bestimmungen im Bezug auf die Angehörigen der deutschen Minderheit enthalten, die viele wichtige Fragen aus den Bereichen Familie, Bildung, Beschäftigung und Mobilität erleichternd regelten. Und zwar unabhängig von dem politischen Alltag beider Länder. Dies wäre die beste denkbare Unterstützung der Bundesrepublik für alle Kasachstandeutsche.
Wir denken, dass es notwendig ist, die rechtliche Basis der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan weiter zu entwickeln. Einige Vereinbarungen, die vor über 20 Jahren abgeschlossen wurden, sind veraltet und sollten unter neuen Bedingungen erneuert werden. Speziell, die Vereinbarung über die Angelegenheiten der deutschen Minderheit Kasachstans könnte in dem Sinne erweitert werden, dass die Rolle der Kasachstandeutschen als Brücke zwischen unseren Ländern stärker zum Tragen kommt.
Wir haben einen Entwurf solcher Vereinbarung ausgearbeitet, die neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf der Ebene der bürgerlichen Initiativen durch die aktive Einbeziehung der Kasachstandeutschen eröffnen soll.

2. Wir stehen vor einer schwierigen Aufgabe, die Modernisierung der Struktur der Selbstorganisation der Kasachstandeutschen durchzuführen. Diese Modernisierung muss: zum einen, eine breitere Einbeziehung der Mitglieder der Minderheit in die Selbstorgani-sation gewährleisten und, zum anderen, die nationale Elite als wichtigste Stütze der ganzen Arbeit der Organisation positionieren. Dazu ist es aber notwendig, dass die Elite  auch von der Bundesrepublik Deutschland als Partner betrachtet und in das BMI-Programm zur Unterstützung der deutschen Minderheit  Kasachstans als Subjekt der Kasachstandeutschen einbezogen wird. Also diese hochangesehenen kasachischen Bürger deutscher Abstammung, die tätigkeitsbedingt formell an der gesellschaftlichen Organisation nicht teilnehmen können, sich aber sehr wohl zu ihrer deutschen Abstammung bekennen.
Nur dieser Schritt kann die bis heute existierende Art der Beziehung zwischen der Bundesrepublik und der deutschen Minderheit Kasachstans ändern und die Rolle der Kasachstandeutschen als Brücke zwischen den Ländern wirklich stärken. Die primäre Orientierung des BMI-Programms auf die sozialschwächsten Schichten der Kasachstandeutschen führt zwangsläufig dazu, dass das BMI-Programm sich als soziale Förder- oder Hilfsmaßnahme verfestigt. Nur durch die Orientierung auf die nationale Elite der Kasachstandeutschen ist es möglich, dass das BMI-Programm den Rahmen der Philanthropie verlässt, in dem dieses Programm bisher abläuft und bei unveränderter Situation weiter ablaufen wird.
Eine Möglichkeit, wie es in der Praxis diese Einbeziehung der nationalen Elite zu realisieren wäre, haben wir kürzlich mit unserem Vorschlag an das BMI dargestellt. Die tatsächliche Realisierung dieses Vorschlags würde aus unserer Sicht einen enormen Schub für die deutsch-kasachischen Beziehungen geben.

3. In den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan spielt die ökonomische Seite eine dominierende Rolle und die Zusammenarbeit im humanitären Bereich wird oft in den Hintergrund gedrängt. So wie es mit der Realisierung des BMI-Programms zur Unterstützung der deutschen Minderheit Kasachstans z. B. passiert. D. h. diesem Programm wird in beiden Ländern wenig Bedeutung beigemessen (was angesichts des Gesagten unter dem vorherigen Punkt auch verständlich ist). Wir denken aber, dass man diese beiden Richtungen der Zusammenarbeit sehr wohl zusammenführen kann, insbesondere unter dem Aspekt der gemeinsamen Verantwortung der nationalen Elite und des Unternehmertums für seine Landsleute.
Dafür ist aber eine enge Kooperation zwischen unterschiedlichen, in Kasachstan tätigen deutschen Einrichtungen notwendig: BMZ, BMI, Auswärtiges Amt und zwischen von ihnen beauftragten Strukturen. Z. B. das BMZ realisiert in Kasachstan eigenes Entwicklungsprogramm, das starke Akzente auf die Wirtschafts- und Bildungsförderung setzt. Wir denken, dass die deutsche Minderheit Kasachstans durchaus in dieses Programm involviert werden kann. Man braucht aber dafür eine gemeinsame Ausrichtung von BMZ und BMI, um die Ziele und Mittel des BMI-Programms mit denen des BMZ-Programms zu verknüpfen und dadurch Synergieeffekte zu erzeugen. Diese Effekte könnten reichen von einer effektiveren Unterstützung der deutschen Minderheit über den verbesserten Kulturdialog bis zu steigenden deutschen Exporten und Wirtschaftsaktivitäten zwischen beiden Ländern. Eine praktische Umsetzung dieser Idee könnte man in Verbindung mit dem Zustandekommen der unter dem Punkt eins genannten neuer Vereinbarung im humanitären Bereich stattfinden. Dazu müsste man die Erweiterung der Regierungskommission auf beiden Seiten und damit einhergehende Kompetenzerweiterung der Kommission vornehmen. Dadurch könnte die Kommission viel mehr auf der Ebene der praktischen Problemlösungen leisten.
Schon heute wird von der Seite der Kasachstandeutschen auf dem wirtschaftlichen Gebiet Einiges unternommen. Über unsere Deutsch-Kasachstanische Assoziation der Unternehmer initiieren wir die Einrichtung bei dem Deutsch-Kasachischen Wirtschaftsrat für strategische Zusammenarbeit einer Abteilung für die Zusammenarbeit mit unseren Landsleuten in Deutschland. Kürzlich organisierten wir zusammen mit dem Ministerium für Investitionen und Entwicklung ein Businessforum für Aussiedler in Deutschland, das große Resonanz fand.
Wir suchen nach Partner für die Realisierung unseres Projekts „Haus der Deutschen Wirtschaft“ in Astana, welches der genannten Idee – alle deutsche Programme und Aktivitäten in Kasachstan zu vereinigen – einen institutionellen Rahmen geben könnte.
Am Ende möchte ich noch zwei konkrete Fragen angehen, die zwar aus dem  bisher behandelten strategischen Rahmen ausfallen, aber ein wichtiges Anliegen der Selbstorganisation darstellen.

4. Für den Erhalt und die Entwicklung der deutschen Sprache in Kasachstan arbeiteten wir einen Entwurf des staatlichen Programms zur Popularisierung der deutschen Sprache aus.
Einige Punkte dieses Entwurfs könnten in der vorgeschlagenen Vereinbarung über die Zusammenarbeit im humanitären Bereich ihren Platz finden. Es ist offensichtlich, dass die deutsche Sprache in Kasachstan ihre Popularität nur über das gemeinsame Bemühen wiederfinden kann.

5. Das Deutsche Theater Kasachstans wird vom Staat unterstützt und wurde vor kurzem zur Verwaltung in die Struktur der Selbstorganisation der deutschen Minderheit de facto
übergeben. Wir traten somit ein schwieriges Erbe an: kaputtes Gebäude, demoralisierte Truppe.
Heute sind positive Entwicklungen bei der Realisierung des neuen Theaterkonzepts schon zu sehen. Die Gastspiele des Theaters in Astana und Karagandy laufen beim ausverkauften Haus (zum ersten Mal in den letzten Jahren). Im Wettbewerb der nationalen Theater in Schymkent gewann das Theater den gesamten zweiten Platz und den ersten Platz für die Inszenierung.
Also das Theater dient wieder den Interessen der deutschen Minderheit Kasachstans.  In dieser Beziehung ist es für uns enorm wichtig, die moralisch-politische Unterstützung der Bundesregierung für diese Aktivitäten zu bekommen. Einen Ausdruck könnte diese Unterstützung in einer gesonderten Vereinbarung über das Deutsche Theater Kasachstans finden. Dies hätte auch noch einen symbolischen Wert, denn gerade dank dem Theater entstand vor 35 Jahren die deutsche Bewegung.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit