Konferenz für ein friedliches Zusammenleben

Eine Konferenz versucht die Herausforderungen und das Potenzial ethnischer Heterogenität in verschiedenen Staaten zu analysieren und nationale Handlungsoptionen zu diskutieren.

Am 4. Oktober ist der große Konferenzsaal des Fonds des Ersten Präsidenten gut gefüllt. Es wird ein Thema behandelt, dass auf großes Interesse zu stoßen scheint: „Staatsbürgerschaft und Volksgruppen – Strategien zur Gestaltung der nationalen Einheit und für ein friedliches Zusammenleben.“ Das Datum für diese Veranstaltung wurde nicht zufällig gewählt: Einen Tag nach dem Tag der Deutschen Einheit will man auch hier über Konflikte und das Zusammenleben in sich wandelnden Staaten sprechen. Wie Thomas Helm, der Leiter des Länderbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) betont, ein sehr wichtiges Thema gerade für Kasachstan: “Wie nur sehr wenigen Ländern ist das Thema des Zusammenlebens verschiedener Ethnien in Kasachstan präsent. Hier leben über hundert verschiedene ethnische Gruppen, mit verschiedenen Bedürfnissen und in verschiedenen Lebensumständen.”
Um die Diskussion über das Zusammenleben der Minderheiten in Kasachstan zu verstehen, lohnt sich zunächst ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Denn die ethnische Zusammensetzung Kasachstans war in den letzten Jahren einem rasanten Wandel unterworfen. So gab es in Zeiten der Sowjetunion, in der Nationalität bzw. die Ethnie eine untergeordnete Rolle spielten, eine hohe Heterogenität der Volksgruppen. In jüngster Vergangenheit kann jedoch wieder ein Trend zur ethnischen Homogenisierung in den Nachfolgestaaten beobachtet werden. So war der Anteil der ethnischen Deutschen 1989 knapp 6%, zehn Jahre später, 1999 sank er auf 2,4% und liegt aktuell noch bei ca. 1%. Ein verhältnismäßig starker Rückgang.

Ethnische Pluralität

Jedoch ist in Bezug auf die Bevölkerungszahl der Rückgang der ethnischen Russen noch weit signifikanter. Waren in Kasachstan vor 1989 noch über 40% russisch, fiel dieser Wert bis 1999 auf 30% und wurde bei der jüngsten Volkszählung 2009 mit etwa 24% angegeben. So ist der Anteil der russischen Bevölkerung in Kasachstan seit 1989 um über zweieinhalb Millionen gesunken. Doch diese Entwicklungen scheinen unumkehrbar, so zitiert Andre Khanzin, politischer Oberberater des Hochkommissars für nationale Minderheiten der OSZE, zitiert Wladimir Putin: „Wer nicht bereut, dass die Sowjetunion zerfallen ist, hat kein Herz, wer sie sich wieder zurückwünscht, hat kein Hirn.” Dennoch betont Helm, dass dieser Prozess äußerst friedlich vonstattengegangen ist: „In 25 Jahren Republik Kasachstan gab es keine eruptiven ethnischen Konflikte zu beklagen.”
Diese Stabilität sei, sehr erfreulich, gerade weil in vielen Ländern der Erde interethnische Konflikte aufflammen, die teils auch erst von außen hereingetragen würden. In diesem Zusammenhang wird von verschiedenen Rednern immer wieder die besondere Bedeutung der Volksversammlung Kasachstans hervorgehoben, die als eine verbindende Institution für die verschiedenen Volksgruppen im Land gilt.
Aber nicht nur die Rolle von Minderheiten für die innere Entwicklung des Landes wird im Laufe der Konferenz betont. Rolf Mafael, der designierte deutsche Botschafter in Kasachstan, spricht auch über ihren Einfluss auf internationaler Ebene. Er weist darauf hin, wie wichtig Kasachstandeutsche für die Beziehungen der beiden Länder sind. Diese Minderheit, die in Deutschland und Kasachstan jeweils ungefähr ein Prozent der Bevölkerung ausmacht, stelle eine wichtige Verbindung zwischen den beiden Ländern dar. „Verschiedene Volksgruppen sorgen für Vielfalt, leider auch manchmal für Konflikte. Aber gerade die gut integrierten Kasachstandeutschen, die eine Brückenfunktion einnehmen, sind für die hervorragenden wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Länder verantwortlich.”
Über dieses Verbindungsglied könne man viel voneinander lernen. Gerade mit Rückblick auf 25 Jahre Deutscher Einheit, ergreifen viele der deutschen Redner die Gelegenheit aus ihrem Erfahrungsschatz mit dem Thema Minderheiten und Integration zu berichten. So bringt Hartmut Koschyk, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedler und nationale Minderheiten, das föderale Regierungsmodell Deutschlands ins Gespräch, mit dem man in Europa gute Erfahrungen gemacht habe. So sei in Deutschland, Österreich, Italien oder Belgien hiermit ein friedliches Zusammenleben realisiert worden, obwohl es in diesen Ländern viele unterschiedliche Volksgruppen und Autonomiebedürfnisse gebe.

Alte Fehler vermeiden

Der Blick beschränkt sich aber nicht nur auf Kasachstan. Stephan Mayer, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundesfraktion bezieht sich in seinem Beitrag auf eine sehr aktuelle Entwicklung in Bezug auf Minderheiten und Integration in Deutschland. Er spricht über das friedliche Zusammenleben in einer multiethnischen Gesellschaft, die durch die Flüchtlingskrise der letzten Jahre vor neue Aufgaben gestellt wurde. Er erklärt den Kurs, den die Bundesregierung eingeschlagen hat, um diese Herausforderung zu bewältigen und warnt gleichzeitig vor Versäumnissen der vergangenen Jahre. So habe man damals vernachlässigt, sich um die Integration der sogenannten „Gastarbeiter” der 1960/70er Jahre zu kümmern. Heute möchte man diesen Fehler nicht mehr wiederholen, deshalb wirbt er für das Integrationskonzept seiner Partei: „Wir wollen die Neuankömmlinge fördern, aber auch fordern.”
Doch um ein gemeinsames, friedliches Zusammenleben nicht zu gefährden, warnt Alexander Dederer, Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“, vor einem übersteigerten Nationalstaatsgedanken, der auf eine ethnische Homogenität drängt. Diese Tendenz war in der Vergangenheit für so viel Leid in Europa verantwortlich und dürfe sich nirgendwo wiederholen. Um das aktiv zu verhindern, hofft Dederer, dass diese Konferenz keine „Eintagsfliege” bleibe, sondern sich eine längere Zusammenarbeit daraus ergebe. Diese Hoffnung besteht, auch wenn man sich manchmal auf seine neuen Gesprächspartner einstellen müsse: „Man darf in Kasachstan nicht Minderheiten sagen, man spricht hier von ‚Gemeinschaften’, das klingt dann weniger negativ.”

Till Eichenauer | DAZ

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